Die Buchbranche und TikTok: Passt das überhaupt zusammen? Wer sich durch die Videos mit dem Hashtag #booktok scrollt, braucht nicht lange, um diese Frage selbstbewusst mit “Ja” zu beantworten. Die Community, die sich mit allem rund um Bücher und Literatur beschäftigt, wächst – und damit auch der Umsatz der Branche. Doch wie funktioniert dieser Erfolg? Und was können wir daraus lernen? Ein Überblick.
Oktober 2023, eine Buchfiliale in Berlin, hohe Regale, wohl tausende an Büchern. Neuerscheinungen stapeln sich auf kleinen Tischen, Kund:innen lesen Klappentexte, schlagen Seiten auf, blättern durch Romane, füllen ihren Einkaufskorb, schütteln den Kopf oder legen Literatur gelangweilt weg. Wer hier etwas erwerben will, wird mit hunderttausenden potenziellen Kaufentscheidungen konfrontiert, mit Bestsellerlisten und hauseigenen Empfehlungen. Oder mit Stickern. Um genauer zu sein: “TikTok made me buy it”-Stickern.
“Das Feuilleton der Teenager” – so bezeichnet Zeit Online das Phänomen BookTok, also jene Nische der Plattform TikTok, die sich mit Büchern beschäftigt. Hier wird diskutiert und rezensiert, vorgelesen und in die Kamera geschwenkt, geliebt und manchmal auch gehasst. Und das von einer Generation, die der Buchhandel noch vor einigen Jahren als verlorene Zielgruppe ansah.
Die mehr als 189 Milliarden Videos, die bereits unter dem Hashtag geteilt wurden, machen diese einstigen Prognosen fast lächerlich: Laut TikTok selbst gehört die BookTok Community zu den engagiertesten und am schnellsten wachsenden Communities der gesamten Plattform. Das geschriebene Wort erlebt auf der App eine digitale Renaissance.
Wer durch die beliebten Videos scrollt, findet quasi alles, was mit Papier, Buchstaben und Geschichten zu tun hat. User:innen zeigen ihre sorgfältig sortierten Regale oder Stapel an ungelesenen Büchern. Sie erzählen von ihren Lieblingsheld:innen und geben einander Empfehlungen. Und manche TikToker:innen vloggen sogar exklusiv von den Events der Branche: Lesungen und Messen.
Die Shootingstars der Branche sind dabei vielfältig. Da ist Tabea, die ihre zweihunderttausend Follower:innen starke Community dabei mitnimmt, 2023 hundert Bücher durchzulesen; da ist Vanessa, die ihre Bücher akkurat nach Farben sortiert, und Valentina Vapaux, die nicht nur Bücher rezensiert, sondern auch selbst schon eins geschrieben hat. Und wem das nicht genügt, der:die kann Jess in Echtzeit beim Lesen zuschauen.
Auch die Plattform selbst hat das Potenzial der Nische längst erkannt: Es gibt eigene Filter. Einen Buchclub, der fünf deutschsprachige Creator:innen jeden Monat ein neues Werk lesen lässt, über das die Community bestimmt. Oder eine eigene BookTok Bestsellerliste. Und das alles von TikTok höchst persönlich.
Der Erfolg geht auch am Bücherhandel nicht vorbei. Besser gesagt: Er beflügelt ihn.
“Ihr seid die einzigen, wo die Buchhändlerinnen und Buchhändler sagen: Oh Gott, wenn das empfohlen wird, das müssen wir uns bevorraten (...), mit anderen Worten: Ihr habt ‘ne ganz ganz große Macht.” So wendet sich Sebastian Fitzek in einer Rede auf der Frankfurter Buchmesse 2023 an eine Reihe von BookToker:innen und fasst damit zusammen, was der Buchhandel schon lange lebt. Die Lesenische auf TikTok hat nicht nur zahlreiche junge Menschen wieder fürs Lesen begeistert, sondern auch einen positiven Einfluss auf den Absatzmarkt gehabt.
Thalia launcht auf TikTok eigene Reading-Challenges, holt Deutschlands bekannteste BookTok Vlogger:innen auf ihren Kanal und bewirbt Neuerscheinungen in social-nativen Videos. Durch diese gezielte Werbung schafft es der Buchhandel, BookTok effektiv für sich zu nutzen – und gelegentlich sogar, um ausgewählte Bücher einen regelrechten Hype zu schaffen.
Das beste Beispiel dafür: Das Buch Heartstopper. Die Geschichte zweier Jungen, die sich ineinander verlieben, verzeichnet bereits fünf Teile und eine Netflix-Serie, die nun bereits in die dritte Staffel geht; der dazugehörige Hashtag auf TikTok fast 15 Milliarden Aufrufe. Kein Wunder also, dass Autorin Alice Oseman auch bei den ersten TikTok-Book-Awards ausgezeichnet wurde und die Kategorie: “Best book I wish I could read again for the first time” für sich entscheiden konnte.
Der Buchhandel springt auf diesen Erfolg auf: So kündigt Thalia das Erscheinen eines neuen Bandes in zahlreichen TikToks an und lässt den eigenen Buchclub den neuen Band gemeinsam mit allen Fans lesen. Doch nicht nur online werden die beliebten Bücher der Community weiter beworben: Auch das Ladenbild im stationären Bereich ist verändert. Es gibt Tische nur für BookTok, Sticker auf beliebten Büchern oder eigene BookTok Charts und Bestsellerlisten. Wer hier nach den neusten Buchtrends sucht, wird garantiert fündig.
“Gefährlich gute Verblödungsmaschine”, “Will China den Westen mit TikTok verdummen?” oder “Die Verdummung durch TikTok - eine kritische Betrachtung – so schreiben TikTok Kritiker:innen über die Plattform. Der Vorwurf: Die App bestehe zu großen Teilen aus Blödsinn, sinnlosen Videos; kurzum: belanglosen Inhalten ohne jeglichen Mehrwert. Diese These widerlegen Creator:innen und Nischen-Themen auf der Plattform immer wieder. So auch durch BookTok. Die Literaturkritik auf TikTok rückt das Potenzial von TikTok, Diskurse zu führen, ins Licht der Öffentlichkeit. Durch Duette und Stitches wird es hier wie auf kaum einer anderen Plattform möglich, mit anderen User:innen zu diskutieren, Meinungen auszutauschen und auf die Inhalte von anderen Buchliebhaber:innen direkt zu antworten. Kultur-, länder- und sprachübergreifend können Jugendliche Literatur entdecken, gemeinsam lesen, voneinander lernen und sie rezensieren. Auf diese Weise rücken sowohl Klassiker als auch Populärliteratur immer wieder ins Scheinwerferlicht der Influencer:innen, jede:r kann hier zum:zur Literaturkritiker:in werden, von anderen User:innen lernen, sich über Autor:innen, Epochen und Stilmittel unterhalten oder selbst Ideen für Romane präsentieren.
Dieser Austausch zeigt: TikTok ist keineswegs nur ein Ort für Videos von Katzen, Tänzen oder lustigen Challenges. Die Plattform wird immer mehr zu einem Ort für Themen, die lange Zeit nur in traditionellen Medien stattgefunden haben: Hoch- und Popkultur, Politik, Gesellschaft, Meinungen und Wissenschaft haben ihren Platz in den Videos gefunden. Doch statt einem einseitigen Modell der Kommunikation sind Kommunikator:innen und Rezipient:innen hier beinahe austauschbar, jede:r kann sich in öffentliche Diskurse einbringen und bekommt mit nur einem Video eine Stimme. BookTok steht damit stellvertretend für das Potenzial der App – und das der in den Medien oft zerrissenen Gen Z: Die Jugend, sie liest, denkt und debattiert ja doch.
BookTok ist eine der schnell wachsenden Communitys auf TikTok und beschäftigt sich mit allen Themen rund um Literatur.
Die Bandbreite ist groß: Bücher werden empfohlen, Handlungsstränge diskutiert, Charaktere analysiert und eigene Ideen für spannende Geschichten vorgestellt.
Durch gezieltes Marketing des Buchhandels und der Begeisterung der Creator:innen entsteht rund um viele Bücher ein großer Hype, der die Verkaufszahlen nach oben treibt.
Auch im analogen Raum hat BookTok einen großen Einfluss: Es gibt #booktok Stände im Verkauf, BookTok-Awards und eigene Bestsellerlisten.
BookTok beweist nicht nur den großen Einfluss TikToks auf den Handel, sondern auch das Potenzial der Plattform, Diskurse zu führen.