Wer im Internet durch die beliebten Short-Form Video Formate scrollt, kommt an ihnen nicht vorbei: Begriffe und Hashtags wie #thatgirl, #vanillagirl und #cleangirl erzielen im Netz Millionen Aufrufe und stehen jeweils für einen ganz besonderen Prototypen junger Mädchen. Von Kleidung über Make-Up bis hin zu Persönlichkeitsmerkmalen, jedes #girl hat ihre ganz eigene Identität. Der Versuch einer Analyse des beliebten TikTok Trends.
Erinnert ihr euch noch an Tumblr? Die Website, auf der Mitte der 2010er gerebloggt, geschrieben und gepostet wurde? Hier entstand der wohl erste Teenagermädchen-Archetyp des Internets: das Tumblr-Girl. Ausgestattet mit Dr.Martens, zerrissenen Strumpfhosen, dunklem Eyeliner und Vintage-Flanellhemd ging es vor allem um eins: anders und besonders sein. Inspiriert von Künstler:innen wie Lana Del Rey, Arctic Monkeys und The 1975 bildete sich auf der Blogging-Website eine ganz eigene Subkultur junger Mädchen, die sich über Herzschmerz, mentale Krankheiten, Musik und Mode austauschten. Wer dazu gehörte, trug die gleiche Kleidung und machte sich so auch durch einen optischen Code erkennbar. Ganz so, wie Subkultur und Trends schon immer funktionieren - nur, dass es diesmal online geschah.
Heute ist eine neue App zum Treffpunkt junger Teenager:innen geworden: TikTok. Statt trauriger Zitate und Fotografien bestimmen kurze, unterhaltsame Videos die Online Kultur. Dabei dient die App nicht nur zum Austausch und zur Unterhaltung, sondern ist längst zum Raum kollektiver Identitäten geworden. Nirgendwo entstehen Trends so schnell, nirgends brennen sie so schnell aus. Und dabei geht es längst nicht mehr nur um Kleidung und Make-up: Die Communities der App bestimmen Alltag und Lifestyle, Ernährung und Skin Care. Wer dazugehören will, muss mit der Zeit gehen. Für junge Frauen steht dabei besonders eins im Fokus: Die Girl-Trends, die neue Archetypen urbaner, trendiger und vermeintlich perfekter Frauen in den Fokus rücken. Seit 2019 erreichen die dazugehörigen Hashtags Millionen Aufrufe, bestimmen die For-You Page und ermöglichen eine bequeme Einkategorisierung junger Mädchen. Doch nicht nur das: die TikTok Trends schaffen immer wechselnde Idealbilder, an denen Userinnen der Plattform sich orientieren.
Umweltbewusst, fröhlich und irgendwo am Meer: Das VSCO-Girl läutet 2019 die #girl-Ära auf TikTok ein. Mit Muschelketten, Scrunchies und einer Hydroflask am Arm überschwemmt das VSCO-Girl, das seinen Namen von der gleichnamigen Foto-App hat, das Internet und wird schnell nicht nur bewundert, sondern auch parodiert.
Dunkler Eyeliner, gestreifte T-Shirts, schwere Ketten und japanisch inspiriertes Make-up: Mit diesem Look eroberten die E-Girls die TikTok Welt im Sturm. Der bunte Mix aus Gaming-Szene, Skate-Kultur, Anime und Goth wird schnell zu einem Sinnbild für eine neue Generation Jugendlicher, die ihre Identität auf TikTok definiert.
Wäre nicht jede gerne dieses eine Mädchen oder diese eine Frau, die ihr Leben fest im Griff hat und die von anderen beneidet wird? Die Frau, That Girl eben? “Ja”, sagen TikTokerinnen 2020 - und rufen den “That Girl” Trend ins Leben - eine Mischung aus Selbstverbesserung und Self Care, Girl Boss Mentalität und Perfektionismus. Frauen zeigen in ihren #thatgirl Routinen, wie sie grüne Smoothies zubereiten, Affirmationen schreiben, regelmäßige Workouts durchführen, für ihren professionellen Erfolg und an ihrer mentalen Gesundheit arbeiten.
Romantisch, weiblich, sanft: Das ist der #softgirl Look. Ausgestattet mit bunten Haarspangen und mädchenhaftem Make-up inszenieren sich die Soft Girls verspielt und verniedlicht - und entdecken durch den Trend ihre feminine Seite.
Der That-Girl Trend stößt eine neue Welle des Perfektionismus an und inspiriert den schnell aufsteigenden #cleangirl Look. Der hat vor allem eins zum Ziel: möglichst gepflegt aussehen. So konzentrieren sich Creatorinnen auf natürlich aussehendes Make-up, das eine glänzende und makellose Haut schafft.
Perfekt, perfekter, die #girl-Trends auf Instagram. 2022 versuchen Vertreter:innen der #weirdgirl Ästhetik, genau mit diesen Schönheitsidealen zu brechen. Unangepasst, extravagant und losgelöst von vorgefertigten Stilen rebellieren sie durch unkonventionelle Kleidung. Eine Antithese zu den so starren, vorgefertigten Trends - und unfreiwillig eine Reproduktion genau dieser.
Gemütlich, dezent und ganz in beige: So ungefähr lebt ein #vanillagirl. Schlichte Eleganz paart sich mit Bequemlich- und Bodenständigkeit, Minimalismus trifft einen natürlichen und frischen Look. Der Trend, der die sozialen Medien im Sturm erobert, konzentriert sich dabei auf cremefarbene Outfits sowie komfortable Materialien und schafft das Bild einer Frau, die ihr Leben perfekt organisiert hat - und dabei völlig bodenständig ist.
Wer nach Lalala und Okokok-Girls im Internet sucht, stößt schnell auf eine Online-Quiz von Buzzfeed, das Leser:innen in nur wenigen Minuten offenbart, zu welchem Typ Mädchen sie gehören. Wie das möglich ist? Anders als die vorherigen #girls konzentriert sich dieser Trend nicht nur auf das Aussehen, sondern bezieht auch die Persönlichkeit der User:innen mit ein. Während ein #lalalagirl extrovertiert, mädchenhaft und unbeschwert durchs Leben geht, zeigt sich das #okokokgirl cool, rational und weist einen eher introvertierten Charakter auf.
So unterschiedlich die verschiedenen Archetypen auch sein mögen, eins haben sie alle gemeinsam: teilweise scharfe Kritik an ihrer Existenz und Umsetzung. Da ist das E-Girl, dem vorgeworfen wird, männliche Ideale zu bedienen und durch die teilweise lasziven Looks lediglich Profit schlagen zu wollen; da ist der That-Girl Trend, dessen toxische Produktivität im Fokus der Missbilligung einiger User:innen steht. Der Vorwurf: Das Idealbild einer vermeintlich perfekten, karriereorientierten und sportlichen Frau verstärke kapitalistische Denkmuster und fördere ein ungesundes Körperbild. Gleich alle Trends der App, so Kritiker:innen, seien darüber hinaus nicht für jede:n zugänglich. Wer mitmachen und Erfolg haben will, muss weiß sein und über einen hohen sozioökonomischen Status verfügen. Women of Colour sind in den Videos so gut wie nie zu sehen. Inklusivität sieht anders aus.
Trotz aller Kritik: Die Teenager-Archetypen überfluten weiterhin das Internet - und das immer schneller. Die TikTok Trends bergen für Creator:innen nicht nur Ideen für frischen Content, sondern vor allem eins: wirtschaftliches Potenzial. Was gerade angesagt ist, bringt Klicks, Views und Follower:innen - und damit Kapital. So verbreiten sich neue Ideen und Stereotype wie ein Lauffeuer. Jungen Zuschauer:innen bieten die #girl-Trends das, was sich wohl viele Teenager:innen so dringend wünschen: eine Identität. Durch optische Codes, spezifische Persönlichkeitsmerkmale und konkrete Ziele vereinen die Trends Selbstausdruck, Individualität und die Zugehörigkeit zu einem Kollektiv. Eine Identitätsfindung im öffentlichen Raum des Internets, die sich bequem von Zuhause und global vernetzt einfacher denn je gestaltet. So sind die Trends wohl genau das, was im Zentrum jeder Adoleszenz steht: sich selbst ausprobieren, abgrenzen, finden. Und das geschieht auf TikTok nicht nur auf der individuellen Ebene. Der schnelle Wechsel und die teils starken Gegensätze der vorgelegten Weiblichkeitsentwürfe fungieren auch als sozio-kulturelle Aushandlung weiblicher Rollenbilder. Traditionell wie das bodenständige Vanilla Girl, rebellisch wie ein E-Girl, feminin wie zarte Soft-Girls: Auf TikTok stellt sich die Frage nach einer neuen, jungen Weiblichkeit. Mal ist die perfekte junge Frau jene, die Karriere macht und gesund kocht, mal jene, die mit ihrem Aussehen gegen gesellschaftliche Standards rebelliert. Zu jedem Trend bildet sich schnell eine Gegenbewegung, jeder neue Archetyp wirft die allumfassende Frage auf, wer diese Generation junger Frauen eigentlich ist, für welche Werte sie steht und wohin sie gehen will. Dabei bleibt jedoch eins völlig auf der Strecke: das Individuum im echten Leben. Denn ob die vorgestellten Lebensweisen realistisch und langfristig umsetzbar sind, bleibt unklar.
Die Jugendkultur formt sich heute maßgeblich im Netz, Subkulturen und Trends bilden sich besonders in den sozialen Medien.
Auf TikTok entstehen laufend #girl-Trends, die bestimmte Merkmale, Stile oder Lebensarten in den Fokus rücken und als Ideal für eine ganze Generation junger Frauen gelten.
Die Bandbreite dieser TikTok Hashtag Trends ist groß: Mal geht es um Karriere und Fitness, mal um einen umweltbewussten Lifestyle.
Dabei sind die Hashtags keineswegs frei von Kritik. Viele TikTok Trends fördern privilegierte, weiße, hübsche und wohlhabende junge Frauen, während Women of Color und Mädchen mit wenig finanziellen Mitteln an diesen kaum teilnehmen können.
Die beliebten Archetypen wirken dabei zweierlei: Sie sind Identitätsfindung und -bildung, fungieren jedoch auch als gesellschaftlicher Diskurs, der verschiedene weibliche Rollenbilder gegeneinander stellt und neu verhandelt.